Die Biologin und Humangenetikerin Dr. Katja de Bragança erhält den Justinus-Kerner-Preis der Stadt Weinsberg


Am 234. Geburtstag des Arztes und Dichters Justinus Kerner wurde der nach ihm benannte Preis der Stadt Weinsberg am 18. September 2020 zum 11. Mal vergeben. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis ging an die 61-jährige Biologin und Humangenetikerin Dr. rer. nat. Katja de Bragança, die den Preis für ihre vorbildliche Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom erhielt.

Der Justinus-Kerner-Preis wurde im Jahr 1986 anlässlich des 200. Geburtstages des wohl bekanntesten Weinsberger Bürgers von der Stadt Weinsberg gestiftet. Der Preis wird seit 1990 alle drei Jahre an Persönlichkeiten verliehen, die in Verbindung mit dem Lebenswerk Kerners oder in seinem Sinne auf den Gebieten der Literatur, der Medizin oder der Heimat- und Denkmalpflege Herausragendes geleistet haben. In der Liste der Preisträger finden sich so bekannte Persönlichkeiten wie der Lyriker Peter Rühmkorf, der Regisseur Edgar Reitz, der israelische Schriftsteller Elazar Benyoëtz oder S.K.H. Carl Herzog von Württemberg.

Bürgermeister Stefan Thoma hob bei der Preisverleihung in der Hildthalle vor etwa 100 Besuchern hervor, dass sich der Justinus-Kerner-Preis zum bedeutendsten Kulturpreis in der Region entwickelt habe und dass die diesjährige Preisverleihung unter ganz besonderen Vorzeichen stehe. So könne man in diesem Jahr auf das 30-jährige Bestehen des Kernerpreises zurückblicken. Die jetzige Preisverleihung sei die erste Veranstaltung der Stadt Weinsberg seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Deshalb mussten auch einige Auflagen erfüllt und die Anzahl der Besucher stark limitiert werden. Im Wirken Justinus Kerners gebe es viele Parallelen zu der Preisträgerin. Beide hätten sich die Arbeit mit Menschen zur Lebensaufgabe gemacht, gingen in ihrer jeweiligen Arbeit auf und hätten neue Wege beschritten. Die Mitglieder der Kernerpreis-Jury habe vor allem ihr Ansatz überzeugt, fachliches Wissen und praktische Erfahrung mit zeitgemäßen, neuen und verständlichen Formen im Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom zu verbinden und deren Kreativität und deren Fähigkeiten einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Das von ihr 1998 gegründete und vielfach ausgezeichnete Kulturmagazin „Ohrenkuss…da rein da raus“, eine Zeitschrift ausschließlich gemacht von Menschen mit Down-Syndrom, zeige auf, wie Menschen mit Down-Syndrom die Welt erleben und wie die Welt Menschen mit Down-Syndrom sehen. Das gelte auch für „Touchdown 21“, einem Forschungsinstitut, in dem Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammenarbeiten und aus dem eine viel beachtete Ausstellung hervorgegangen sei.

Die Arbeit von Dr. Katja de Bragança habe auch dazu beigetragen, dass in Bezug auf Menschen, die einfach etwas anders sind, in unserer Gesellschaft ein Umdenken stattgefunden habe. Sowohl Kerner als auch die Preisträgerin hätten die Bedeutung von Kunst und Poesie für ihre Arbeit genutzt. Das soziale Gewissen, der Einsatz für Benachteiligte, das Bemühen um die Akzeptanz in der Gesellschaft und das Einbeziehen des Umfelds in die Therapie sowie der Wille der Beteiligten seien bei Kerner und bei de Bragança gleichermaßen von ganz entscheidender Bedeutung. Die Preisträgerin stehe in ihrer Geisteshaltung und in ihrer gesamten Lebenseinstellung Justinus Kerner nahe, sie lebe das Gedankengut Kerners auf vorbildlichste Art und Weise.

Als Laudator konnte der renommierte Arzt und Genetiker Prof. Dr. Markus Nöthen vom Universitätsklinikum Bonn gewonnen werden, der auch Mitglied der Gelehrtengesellschaft Leopoldina ist. Er kennt die Preisträgerin seit über 30 Jahren sehr gut und noch aus der Zeit, als diese als Doktorandin der Biologie am Institut für Humangenetik der Universität Bonn geforscht und sich mit der Abweichung vom regulären Chromosomensatz des Menschen, nämlich mit dem dreifachen Vorhandensein des Chromosoms 21, der sogenannten Trisomie 21, befasst habe. Die Bezeichnung Down-Syndrom gehe auf den im 19. Jahrhundert praktizierenden englischen Arzt Dr. John Langdon Down zurück. Das von Katja de Bragança erfundene Projekt „Ohrenkusss...da rein da raus“ sei eine selbstbewusste Demonstration des Denkens, des Empfindens und der Kreativität von Menschen mit Down-Syndrom. Aus dem Forschungsinstitut „Touchdown 21“ habe die Preisträgerin die Idee zu einer viel beachteten Ausstellung entwickelt, die in der Bundeskunsthalle Bonn, in Bremen und im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt wurde. Der Laudator zeigte sich begeistert von dem vielseitigen Wirken Justinus Kerners. Lebensneugier, Empathie, Begeisterung für Wissenschaft und künstlerische Sprache, Brückenschlagen zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen und wissenschaftlichen Disziplinen seien Charaktermerkmale Kerners, die alle auch auf Katja de Bragança zuträfen. Sie sei somit eine würdige Preisträgerin im Geiste Justinus Kerners.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kernerpreises wurde die Laudatio ergänzt mit einer Co-Laudatio. Daniel Rauers, ein Mann mit Down-Syndrom aus dem Ohrenkuss-Team, trug zusammen mit der Redaktionsassistentin des Magazins Anne Leichtfuß einige Texte von weiteren Mitgliedern des Teams vor, die die gute Zusammenarbeit im Team und vor allem das gute Verhältnis zu Katja de Bragança als „Chefin“ widerspiegelten. Mit einfachen Worten trafen die Betroffenen genau den Kern der Sache, wie z. B. „Mal sehen wie es mit Katja weitergeht, die wird 'ne große Nummer, würde ich sagen“ oder „Katja hat es verdient den Preis mit toller Arbeit, Katja ist eine gute Chefin, eine super tolle Frau“. Für den bemerkenswerten Auftritt erhielt Herr Rauers zurecht viel Beifall des interessiert lauschenden Publikums.

Das Schlusswort gehörte dann der Preisträgerin Dr. Katja de Bragança, die im Geiste Kerners den Gästen zurief. „Auf Justinus Kerner und die Kraft des freien Kopfes! Auf die Kraft der Ideen! Auf die Kraft der Wörter!“ Justinus Kerner brachte sie zu dessen Geburtstag ein musikalisches Ständchen auf einer aus Vietnam mitgebrachten Mundorgel. In ihrer Dankesrede griff sie die vielschichtigen Themenbereiche Kerners auf, indem sie auf die bisherigen 10 Preisträger einging und interessante Verbindungen zu ihrer Arbeit herleitete. Mit vielen Menschen aus dem Ohrenkuss-Team arbeite sie nun schon seit vielen Jahren zusammen und gehe Dingen auf den Grund wie Perlentaucher. Mit dem Forschungsprojekt „Touchdown 21“ versuche man Fragen zu formulieren und sie im Team mit Fachleuten zu beantworten. Jetzt neben vielen anderen Auszeichnungen den Justinus-Kerner-Preis der Stadt Weinsberg zu erhalten fühle sich gut an. Man solle immer daran denken, wie gut es uns doch gehe und vor allem an diejenigen denken, denen es nicht so gut gehe.

Musikalisch umrahmt wurde die feierliche Preisverleihung von Ensembles der Städtischen Musikschule Weinsberg. Den Auftakt machte ein Streichquartett der Kammermusikklasse der Musikschulleiterin Sylvia Gassert. Unter Leitung des Gitarrenlehrers Jörg Laukart zeigten Musikschüler ihr Können mit der Gitarre und den Schlusspunkt setzte ein Trompetenensemble mit Paukenbegleitung unter Leitung von Rasil Arnakuliyev und der Klavierlehrerin Sachiko Ushikubo am Flügel.

Dr. rer. nat. Katja de Bragança wurde 1959 in Neumünster in Schleswig-Holstein geboren. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Inder und ihr Name portugiesischen Ursprungs. Ihre Jugendjahre verbrachte sie in Goa in Indien. Sie studierte Biologie an der Universität Bonn, spezialisierte sich am Institut für Humangenetik Bonn und promovierte 1991. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit setzte sie sich schwerpunktmäßig mit der biologischen Grundlage des Down-Syndroms und der Problematik der pränatalen Diagnostik auseinander. Zusammen mit ihrem Team gründete sie 1998 das bis heute erscheinende und vielfach ausgezeichnete Magazin „Ohrenkuss…da rein, da raus“, eine Zeitschrift gemacht von Menschen mit Down-Syndrom, und 2014 das partizipative Forschungsinstitut Touchdown 21, eine viel beachtete Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom. Für ihre innovative Arbeit hat Dr. Katja de Bragança bereits einige Auszeichnungen erhalten, u.a. auch das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Der Kernerpreis-Jury gehören an:

Bürgermeister Stefan Thoma als Vorsitzender, der jeweils letzte Preisträger, Prof. Dr. Heinz Schott (Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn), Dr. Thomas Schmidt (Deutsches Literaturarchiv Marbach), Dr. Albrecht Ernst (Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein), Ulrich Maier (freier Schriftsteller), Matthias Klatte (1. Vorsitzender des Justinus-Kerner-Vereins Weinsberg und Frauenvereins Weinsberg).